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Lüdenscheider Zeitbilder
 

1945-1949: Britische Besatzungszone mit belgischen Soldaten

Bürgermeister: Willi Bürger SPD, Richard Hueck CDU, Ernst Mehlich CDU, Willy Hoffmeister CDU

Foto: Schulkinder stehen 'Schlange'.
Schulkinder erhielten von der Stadt 1946/47 Mittagessen, um sie vor Hunger und Erkrankungen zu bewahren.
Hier stehen Kinder auf dem Schulhof der heutigen Pestalozzi-Schule.

 

Ab 1945 musste Lüdenscheid als ein Teil Deutschlands auch für einen Teil der ungeheuren Schäden des Nationalsozialismus aufkommen, zuletzt im Jahr 2000 mit den Zahlungen der heimischen Industrie, von Bundesmitteln und Kirchen an noch lebende ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
In Lüdenscheid, wo weniger als 1 % der Häuser zerstört und ungefähr 70 Zivilisten durch Kriegseinwirkungen getötet waren, empfand die Mehrheit nicht die Zeit der Nationalsozialisten und des Krieges, sondern die Besatzungsjahre als die schlimmste Zeit des 20. Jahrhunderts. Nicht die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg mit seinen 55 Mio. Opfern, nicht die Verbrechen an der russischen Zivilbevölkerung, nicht die Euthanasie, nicht der Holocaust und nicht die tödliche Gewalt gegen politische Gegner im eigenen Land, sondern die Vertreibungen, der Hunger der Nachkriegszeit, die Demütigungen durch die Entnazifizierungsverfahren, die Ausgangssperren, die Wohnraumnot und der Mangel an lebenswichtigen Dingen setzten sich als schrecklichste Ereignisse im Bewusstsein der Mehrheit fest. Sie verband mit der Zeit des Nationalsozialismus besonders die Bombennächte, für die man die Alliierten verantwortlich machte.
Rückblickend schrieb der Oberstadtdirektor Hans Born in der letzten Amtlichen Bekanntmachung (Nr. 247 vom 31.1.1950):

Foto: Blechhütten.
Die "Nissen-Hüten" aus Flugzeugblech waren Notquartiere, in denen man bei Regenlärm kaum miteinander sprechen und bei Hitze kaum noch Luft finden konnte. Hier sind einige am Grünewald zu sehen.

 

"Als am Nachmittag des 13. April 1945 die amerikanischen Kampftruppen die Stadt besetzten und am Rathaus ihre Flagge hissten, war alles Leben in der Stadt gelähmt und erstarrt; das Gestern war versunken, das Morgen noch nicht sichtbar und das Heute ein Abgrund von Not, Angst, Verlorenheit. Das Dasein war gespenstisch und unwirklich geworden. Aller Verkehr war unterbrochen, Presse und Rundfunk fielen aus, und niemand wusste, was nun werden würde. Als dann auf Befehl und unter Aufsicht der Stadtkommandanten damit begonnen wurde, Ruhe und Ordnung zu sichern, eine arbeitsfähige Verwaltung einzurichten und vor allem die Lebensmittelversorgung wieder in Gang zu bringen, ergab sich von selbst die Notwendigkeit eines Publikationsorgans. Schon am 16. April 1945 erschien die Nr. 1 der "Mitteilungen für die Bevölkerung von Stadt und Amt Lüdenscheid", die von der "Vorläufigen Stadt- und Amtsverwaltung" im Auftrag der Militärregierung zweisprachig (englisch und deutsch) nach Bedarf herausgegeben und in mehreren tausend Stück an die Be- völkerung von Stadt und Amt Lüdenscheid kostenlos verteilt werden sollten.

Ab 1946 übernahmen die Westfälische Rundschau, die Westfalenpost und ab 1949 die Lüdenscheider Nachrichten die Veröffentlichung der Amtlichen Bekanntmachungen als Ergänzung ihrer unabhängigen Berichterstattung.
In den zwei letzten Kriegsjahren waren ca. 4 000 Menschen aus dem Ruhrgebiet nach Lüdenscheid geflüchtet. Sie kehrten nach Kriegsende dorthin zurück. Ca. 10 000 Vertriebene aus Preußen, Pommern, Schlesien und dem Sudentenland kamen in die fast unzerstörte, aber völlig überfüllte Stadt, wo 1947 nur noch 3,8 qm je Einwohner zwischen Dachboden und Kellerraum zur Verfügung standen. Im Kreis Altena, zu dem Lüdenscheid als kreisfreie Stadt gehörte, gab es die geringste Pro-Kopf-Wohnfläche Nordrhein-Westfalens. Nicht selten mussten Flüchtlinge mit Polizeischutz einziehen, weil die betroffene Familie sich gegen die großen Einschränkungen wehrte. Ebenso elend war die Versorgung mit Lebensmitteln.
Zeitweise sank die Zuteilung auf ein Drittel des Tagesbedarfs von 2 600 Kalorien. 1946/47 wurden täglich an 8 200 Schulkinder Mahlzeiten von 350 Kalorien Nährwert ausgegeben. Die Gesundheitsfürsorge berichtete über die Schulanfänger:

                           1945     1946   1947   1948
guter Allgemeinzustand:      86       60     60    241
chronisch krankhaft:         78      424      ?    730

Und die Zahl der Lüdenscheider, die durch Ansteckungen, schlechte Wohnverhältnisse und Mangelernährung an Tuberkulose oft tödlich erkrankten, stieg:

1945         1946         1947         1948
 389          588          874          968

Im Durchschnitt kamen auf hundert Bedürftige eine Hose, eine Jacke oder/und ein Paar Schuhe, weil viele zum Kriegsende alles verschlissen oder verloren hatten. Da Schuhe und Leder fehlten, wurden Holzschuhe hergestellt und auch im Winter getragen.
Die Volkszählung von 1946 spiegelte die Not vieler "Trümmerfrauen", auch wenn es in Lüdenscheid fast keine Trümmer gab: Verwitwet: 859 Männer, 3 408 Frauen. Viele hatten ihren Mann, Sohn oder Vater verloren oder lebten mit einem schwer Kriegsversehrten.
Die psychische Not wurde durch harte Arbeit verdrängt. Auch die vaterlosen Kinder litten unter den Verhältnissen.
Gleich schwer war das Schicksal der 11 000 "Displaced Persons", also der jungen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die in der Kaserne am Buckesfeld zusammengeführt und dann in ihre Heimatländer transportiert wurden. Viele - besonders Russen - hatten große Ängste, weil sie als Vaterlandsverräter angesehen wurden, denn sie waren ja gezwungen worden, im Krieg Rüstungsteile für die Deutschen gegen ihr Vaterland zu produzieren. 10 - 20 % kamen deshalb in Straflager nach Sibirien und alle galten als "schlechte Patrioten". Die befreiten hungernden Zwangsarbeiter plünderten häufig und dabei wurde in Lüdenscheid mindestens ein Deutscher ermordet.

Foto: Der "Notpfennig der Stadt Lüdenscheid": Eine Kornähre, Schriftzug rundum: 'Unser täglich Brot gib uns heute'
Der "Notpfennig der Stadt" wurde in unterschiedlichen Werten herausgegeben. 1947 kamen 77.000 RM zusammen, das waren 0,6% der städtischen Jahreneinnahmen.

 

Foto: Der "Notpfennig der Stadt Lüdenscheid": St. Medardus über einem Schachbrettmuster und einer Stadtmauer, Schriftzug rundum: 'Lüdenscheider Notpfennig 1948'
Um Wohnraum zu finanzieren, wurden 1947 un 1948 Lüdenscheider Notpfennige geprägt, die sich an die Hilfsbereitschaft der Mitbürger wandten. Der Notpfennig wurde von dem bedeutenden Graveur Wilhelm Jüngermann hergestellt.

 

Als die US-Truppen Lüdenscheid besetzten, waren der Oberbürgermeister und viele Verantwortliche geflohen. Der anwesende Verwaltungsdirektor (ehem. NSDAP-Mitglied) wurde für die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Lebensmittelversorgung verantwortlich gemacht. Eine Gruppe von Kommunisten, Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, die sich Antifaschisten nannten, boten sich ihm und dem Militär zur Mitarbeit an. Das geschah mit Erfolg einen Monat lang. Ihr erster Aushang lautete:

"Den Lebensmittelhändlern ist der freie Verkauf untersagt. Die bisherigen Lebensmittelkarten und Bezugsausweise gelteneinstweilen weiter.
2. Rauben und Plündern ist durch die Militär-Verwaltung verboten und wird von dieser bestraft.
3. Die in den Haushaltungen vorrätigen Lebensmittel müssen aufs sparsamste verwendet werden.
4. Die auf unzulässige Weise (d. h. Plünderung und Diebstahl) in den letzten Tagen erworbenen Lebensmittel sind binnen 24 Stunden an das Ernährungsamt, Kerksigturnhalle, abzuliefern, andernfalls ist Durchsuchung und Bestrafung zu erwarten.
Lüdenscheid, den 14. April 1945. Die vorläufige Stadtverwaltung."

Am 12. Mai beendete der amerikanische Stadtkommandant die Tätigkeit der Antifaschisten und berief 5 Bürger aus verschiedenen politischen und sozialen Bereichen in die Verantwortung für die Verwaltung der Stadt unter der Aufsicht des Militärs. Im Juni übernahmen die Briten das Kommando. Sie wollten die Demokratie von unten aufbauen und unterstützten die Bürger, die Christlich Demokratische Union im Januar 1946 zu bilden, nachdem sich SPD, FDP und KPD in Fortsetzung der Tradition von Weimar schon erneut gegründet hatten. Auf Anordnung der Briten trat im gleichen Monat eine erste Stadtvertretung aus Sozialdemokraten, Kommunisten, Christdemokraten, Liberalen, Arbeitern, Unternehmern, Handwerkern, Händlern, Freiberuflern und Vertretern der Kirchen zusammen. Im Oktober 1946 fand die erste Kommunalwahl statt, in der die CDU 51 %, die SPD 39 % und die KPD 9% erhielten. Nun zogen die britischen Truppen ab und es folgten belgische, die 47 Jahre hier blieben. Zwei Jahre später fand die zweite Kommunalwahl statt, in der die SPD mit 40 % gewann. Dennoch wurde Willy Hoffmeister (CDU) mit 14 von 25 Stimmen wegen seines Verhandlungsgeschicks zum Oberbürgermeister gewählt. Neben der Demokratisierung durch Wahlen war das Hauptanliegen der Besatzungsmächte die Entnazifizierung. Der großflächige Versuch, Verantwortliche der nationalsozialistischen Zeit von Unschuldigen zu unterscheiden und zur Rechenschaft zu ziehen, führte nicht selten zu Denunziation und Verleugnung. Die "Persilscheine", die sich ein Belasteter von Bekannten zur Entlastung ausstellen ließ, entsprachen oft nicht der Wahrheit, sondern der Verdrängung und nur teilweise der Klärung.

Die lokalen Arbeitgeber beschlossen mit den Gewerkschaften, alle Kräfte dafür einzusetzen, die Produktion wieder aufzunehmen. Dafür war eine Erlaubnis der Militärbehörde notwendig, die den meisten Firmen - oft mit Einschränkungen - innerhalb von einem Jahr erteilt wurde. Die Unternehmen mussten sich nun von der Kriegs- auf die Zivilproduktion umstellen. Aus Stahlhelmen wurden Seiher hergestellt, aus Geschossteilen Vasen und Lampenschirme, aus Aluminium für Flugzeuge und Raketen wurden Tauchsieder, Kochtöpfe und Bestecke, aus Druckzündknöpfen Fußabtreter, aus Patronenhülsen Feuerzeuge und Lippenstifthülsen, aus Zündbolzen Kleiderhaken, aus Zündglocken die Leuchtschirme für die parlamentarische Versammlung (Vorläufer des Bundestags) und Uniformknöpfe wurden mit Trachtenmuster für den zivilen Markt übermalt. Am weitesten verbreitet war die Herstellung von verschiedenen Tauchsiedern und passenden Töpfen, die wegen des Gas- und Kohlemangels vielseitig genutzt wurden.

Lüdenscheids Neubeginn verlief günstig, weil man sich mit den gelagerten Metallen und Kunststoffen der Kriegsproduktion rasch auf die Produktion wichtiger Alttagsartikel umstellte und diese dann gegen Lebensmittel eintauschte. Sie, Kleidung und andere lebenswichtige Dinge waren bis zur Währungsreform im Juni 1948 legal nur schwer mit Bezugsscheinen oder illegal auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Wer nichts zu tauschen hatte, litt große Not. Viele nutzten die Chance zu hamstern, d.h. auf dem Land Gebrauchsartikel oder Zigaretten gegen Lebensmittel einzutauschen.

Im unzerstörten und wirtschaftlich erfolgreichen Lüdenscheid vereinigten sich die Industriegewerkschaft Metall der britischen Zone mit der aus der amerikanischen Zone. In diesem für Deutschland wichtigen Neuanfang spiegelte sich der schnelle wirtschaftliche Start Lüdenscheids in der Nachkriegszeit.
Auch hier war die Sehnsucht nach Kultur als Hoffnungsträger groß. 1948 zählte die neu gegründete Kunstgemeinde 1 780 Mitglieder. Die städtische Volkshochschule wuchs nach 1946 rasch. Konzerte (bes. in der Schützenhalle) und Theateraufführungen fanden großen Zuspruch.
Die demokratische Kultur wurde von den Bürgern mit den Parteien entwickelt. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen wandelten sich so:

                                                                
                           Ratssitze/Prozent


             1946    1948    1952    1956    1961    1964    1969
                
SPD          7/23   10/40   18/45   19/53   18/50   19/51   21/47       
CDU         22/73    9/36   10/25   11/31   13/36   14/38   16/36             
FDP           -      2/ 8    9/23    6/17    5/14    4/11    5/11             
RSF           -      3/ ?     -       -       -       -       -  
BHE           -       -      3/?      -       -       -       -  
KPD           -      1/ 3     -       -       -       -       -  
NPD           -        -      -       -       -       -      3/ 7   
               
                                                
                  1975    1979    1984    1989    1994    1999 
            
SPD              21/41   21/41   21/41   21/41   25/49   17/34    
CDU              22/43   23/45   24/47   20/39   23/45   24/48    
GRÜNE              -       -      3/ 6    2/ 4    3/ 6    3/ 6   
FDP               3/ 6    3/ 6     -      2/ 4     -      2/ 4   
UWG               5/10    4/ 8    3/ 6    3/ 6     -       -  
Lüd. Liste         -       -       -       -       -      3/ 6   
REP                -       -       -      3/ 6     -      1/ 2   
   
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1950-1959: Wiederaufbau und Wirtschaftswunder

Foto: Blick über die Stadt Lüdenscheid auf die vordere Knapper Str. .

Blick auf die vordere Knapper Str. um 1970.

Bürgermeister: Walter Kimmig SPD, Walter König SPD, Walter Kimmig, August Schlingmann 1953 - 61 SPD

1947 hatte die erste Landtagswahl in dem neu gebildeten Bundesland Nordrhein-Westfalen stattgefunden. Es wurde aus dem westlichen Teil Preußens gebildet, das von den Siegermächten aufgelöst worden war:

"Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört."

Durch die Aufteilung der Macht auf die einzelnen Bundesländer (Föderalismus) sollte nie mehr eine Diktatur in Deutschland entstehen können. Polizei, Kultur, ein Teil der Finanzen und das (Hoch-) Schulwesen wurden nun dezentrale Aufgaben der Länder.
Außen-, Verteidigungs-, Sozial- und Strukturpolitik fielen in die Kompetenz des Bundes, der mit der Annahme des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 gegründet wurde. Die erste Bundestagswahl wurde im August von der CDU mit dem ersten Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer gewonnen. Zur größten sozialpolitischen Leistung vor der Wiedervereinigung wurde 1952 das Lastenausgleichgesetz. Es ließ Menschen, die im Krieg Wohnung, Haus, Hof und Heimat verloren hatten, kleine Zahlungen von denen zukommen, die nicht direkt kriegsgeschädigt waren. In Lüdenscheid erhielten 6 000 Bürger vom städtischen Ausgleichsamt 4,7 Mio. DM.

Hier waren schon zu Beginn des Jahrzehnts Nahrung, Bekleidung und die Grundausstattung mit dem Lebenswichtigen ausreichend - der Platz zum Wohnen und für Schulunterricht aber fehlte. Unterricht wurde jeweils wechselnd am Vor- und Nachmittag in zwei Schichten erteilt. Dennoch waren die Klassen so überfüllt, dass viele - besonders die Flüchtlingskinder - auf den Fensterbänken sitzen mussten. Die Raumnot hatte viele Ursachen. Mehr als 200 Wohnungen waren von der belgischen Besatzungsmacht belegt. Viele Menschen - besonders aus Bayern und Schleswig-Holstein - kamen hierhin, weil es gute Arbeitsmöglichkeiten gab und die Betriebe um Mitarbeiter warben. 1956 trafen die ersten italienischen Gastarbeiter ein, die zuerst in der Landwirtschaft helfen sollten, weil sie wegen der höheren Löhne der hiesigen Industrie noch mehr an Arbeitkräftemangel litt.

Als Vertreter der Stadt sich in Neuß nach Lösungen für die Wohnungsnot erkundigten, stellten sie 1952 fest, dass dort in einem Jahr auch mit Hilfe der Industrie 1 000 Wohnungen gebaut wurden, in Lüdenscheid aber nur 340, weil sich die Unternehmen kaum beteiligten. Hier kam erschwerend hinzu, dass es in der eng bebauten Stadt, in der die Einwohnerzahl 4 600 je qkm (1960) betrug, kaum Grundstücke gab und die Lösung erst mit der Zusammenlegung von Stadt und Amt Lüdenscheid 1969 gelang. Noch 1959 lebten 600 Familien mit 3 - 4 Personen jeweils in einem Raum, manche seit 10 Jahren.

Foto: Eine Strasse mit Autos und Häusern.
In den 60er Jahren wurden die Wohnhäuser an der Glatzer Str. errichtet, die dazu beitrugen, dass der Stadtteil Honsel mit seiner Mischung aus Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern zu einem der bevölkerungsreichen und beliebten Wohngebiete wurde.

 

Die Zahl der Aufgaben und die Veränderungen in der Politik waren so groß, dass nur eine Auswahl genannt werden kann. Erstens wurde 20 Jahre lang um die Zusammenlegung mit dem Amt Lüdenscheid diskutiert. Unterschiedliche Interessen (z. B. hinsichtlich der Kreis-Altenaer-Eisenbahn) führten zu keiner eigenen Lösung, bis die Kommunalreform des Landes beide Kommunen vereinigte. Zweitens war die Besatzung der Stadt durch die Belgier eine große Last, die oft zu Spannungen führte. 200 "Besatzungsgeschädigte" mussten auf 148 Häuser, 99 Wohnungen, 45 Zimmer, Hotels und Gaststätten verzichten (knapp 4 % der Wohnfläche) und erhielten nur eine kleine Entschädigungszahlung von der Bundesregierung. Sie unterzeichnete 1952 den Deutschlandvertrag mit der Aufhebung des Besatzungsstatus und 1954 den Beitritt zur Nato. Als die belgische Militärpolizei in Lüdenscheid 1955 eine Besitzerin aus ihrem Haus verwies, obwohl Belgien und Deutschland nun NATO-Partner waren, empörten sich die Lüdenscheider Politiker und Bürger. Drittens musste auch die Kommunalpolitikdie alte nationale Blickrichtung gegen die neue westliche austauschen. In einem Sonderzug wurde drei Tage lang der Bevölkerung der Marshall-Plan für den demokratischen und marktwirtschaftlichen Wiederaufbau Europas dargestellt. 1953 reisten 9 Spitzenbeamte Lüdenscheids in die USA, um die demokratische Kommunalverwaltung vor Ort kennen zu lernen.

Viertens erstarkte auch der lokale Antikommunismus, der ein Teil des Ost-West-Gegensatzes im "Kalten Krieg" war. Der Rat hatte den Markt- bzw. Karlsplatz 1933 Adolf-Hitler-Platz und nach dem Krieg Karl-Marx-Platz benannt. Ab 1952 hieß er wieder Marktplatz. Und die alte Siegesstraße (zur früheren Siegessäule im Loher Wäldchen), die nach dem Krieg Heinrich-Mann-Straße hieß, erhielt den Namen Breslauer Str. Nach dem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands durch das Bundesverfassungsgericht 1956 erhielt auch in Lüdenscheid ein Kommunist, der schon in der Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert worden war, eine Gefängnisstrafe, weil er gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik agierte und trotz des Verbots Kontakte zu Menschen in Osteuropa pflegte. Sechs weitere Kommunisten arbeiteten aus der Kriegserfahrung heraus gegen die Wiederaufrüstung und wurden verhaftet. Der "Kanzlerdemokratie" Konrad Adenauers und ihrer Westorientierung, zu der auch der Antikommunismus der USA (McCarthy) gehörte, gelang kein libealdemokratischer Umgang mit Kommunisten, die gegen die Aufrüstung agierten und Kontakte zur DDR unterhielten, um miteinander im Gespräch zu bleiben.
Die wehrhafte Demokratie arbeitete im "Kalten Krieg" mit der Unterdrückung Andersdenkender statt mit besseren Argumenten. Hitlers Feindbild des bösen Kommunisten im Osten wurde zum Teil von der jungen Bundesrepublik übernommen.

Die Gewerbesteuerzahlen zeigen den raschen Anstieg der Wirtschaft, der "Wirtschaftswunder" genannt wurde:

Gewerbesteuereinnahmen Einwohner Arbeitslose
              der Stadt in T. DM        in T.           in %  
   1950                    3.092        52,0             0,3  
   1952                    3.664        52,9             0,3  
   1954                    3.385        54,1             0,3  
   1956                    5.820        55,3             0,3  
   1958                    7.469        56,9             0,3  
   1960                    6.379        57,8             0,6  
   1970                  *15.100        78,4             2,6
   1980                   40.307        74,6               ?
   1990                   72.100        79,4               ?
   1999                   71.700        81,2             8,6
( * Ab Januar 1969 wurde das Amt Lüdenscheid (Gemeinden Brügge und Rahmede) und die Gemeinde Hülscheid Teil der Stadt Lüdenscheid. Sie umfasste ungefähr das Gebiet der alten Pfarrgemeinde Lüdenscheid, in der seit dem Spätmittelalter der erste Pfarrer für den reichen Landbezirk und der zweite für den ärmeren Stadtbezirk zuständig war.)

Zu ihm trugen auch hier der eingezogene Besitz der ermordeten Juden und der Gewinn aus der kaum bezahlten Arbeit der ehemaligen Ostarbeiter bei.

Foto: Blick auf die Hauptkreuzung mit Ampeln und Autos.

Der Straßenstern um 1970.

Das Problem der Energieversorgung wurde durch die Kohlelieferungen des Ruhrbergbaus an die Siegermächte und durch den Bedarf der wachsenden Wirtschaft immer größer. Für die Haushalte und die Industrie fehlten 1951 in Lüdenscheid 40 % der benötigten Kohle. Sie war - auch für die Strom- und Gasgewinnung - die entscheidende Energiequelle. Wasser hatte als Energiequelle hier ausgedient.

Als 1951 das Versestaubecken feierlich in Betrieb genommen wurde, hatte das eine große Bedeutung für die Wasserversorgung Lüdenscheids und des Ruhrgebiets, aber nicht mehr energiewirtschaftlich, wie die alten Talsperren Fürwigge, Fuelbecke und Glör genutzt wurden. Mit dem Wasservorrat stieg auch der Pro-Kopf-Verbrauch, der in dem trockenen Sommer 1947 noch auf 15 Liter am Tag beschränkt worden war, auf täglich 230 Liter/Tag im Jahr 1952. Durchgehend gute Aufträge meldeten von den Industriemessen in Hannover durchschnittlich 60 heimische Unternehmer, von den Haushaltswarenmessen in Köln 50 Unternehmer und von den Spielwarenmessen in Nürnberg 10 Unternehmer.

Foto: Blick auf die Baustelle des Rathaustunnels.


Der Bau des Rathaustunnels um 1972.

 


Die Arbeitskräfte kamen aus vielen Gegenden Deutschlands. Stadt, Kirchen und Arbeiterwohlfahrt sahen ihre soziale Aufgabe darin, ihnen Unterkünfte zu bauen, z. B. an der Hochstr., Wehberger Str., Gartenstr. und am Duisbergweg. An der Kreuzung der B 229 und B 54 wurde 1954 neben der Tankstelle das erste Fernfahrerheim eröffnet. Der Warentransport wuchs rasant. Er bestand vor allem aus Steckern und Bauelektroartikel, die mit Lkw und Bahn transportiert und exportiert wurden. 1955 konnte das hiesige Arbeitsamt mit 0,4 % die niedrigste Arbeitslosenzahl von ganz Deutschland melden. Täglich fuhren Busse mit 500 "weiblichen Arbeitskräften" von Dortmund über Hagen nach Lüdenscheid und wieder zurück. Die Erfolge der Lüdenscheider Wirtschaft spiegelten sich auch in jährlich 800 000 Fahrgästen der Bundesbahn und 1957 im Bau des ersten Hochhauses, dem Verwaltungsgebäude von Busch-Jäger-Elektro an der Gartenstr. Da der Platz in der Innenstadt nicht mehr reichte, siedelten sich 25 Firmen an der Hohen Steinert neu an. Nicht weit entfernt sollte der Traum eines eigenen Flugplatzes bei Heerwiese verwirklicht werden, wo 1957 auch belgische und britische Flugzeuge landeten und starteten. Aber das Gelände entsprach nach Ansicht der Landesregierung nicht den modernen Anforderungen. Die Wirtschaftsblüte wurde auch von der Sparkasse registriert, die meldete, dass sich 1948 - 1958 die Spareinlagen verzehnfachten. Die rasche Entwicklung erfasste auch die Fernsprechtechnik, die ab 1958 ermöglichte, im Selbstwählverfahren von Lüdenscheid nach Berlin und nach Luxemburg zu telefonieren, ohne sich vom "Fräulein vom Amt" per Hand verbinden lassen zu müssen. Hauptmedium war neben der Zeitung seit der Zeit des Volksempfängers das Radio. 1951 kontrollierte ein Messwagen der Post die Radiohörer und registrierte, dass 2 500 Lüdenscheider Schwarzhörer waren, von denen allerdings die Hälfte nach dieser Nachricht ihr Gerät freiwillig anmeldete.

Foto: Werbeschild der Lüdenscheider Firma Berg. Text: 'Rein-Aluminium-Kochgeschirre - Wilhelm Berg, Lüdenscheid'.


Dank der Rohstoffreserven der Kriegszeit und der Kenntnisse über die Aluminiumverarbeitung konnten viele Lüdenscheider Unternehmen den Nachkriegsbedarf an Haushaltskochgeräten decken.

 

Nach der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Katastrophe des völkischen Nationalsozialismus suchten viele Lüdenscheider nach Werten. Flüchtlinge und Vertriebene bauten die Patenschaften Glatz und Kontakte zu ihren alten Heimatorten auf. Für viele junge Lüdenscheider wurden internationale Jugendbewegungen zukunftsweisend. Wichtig wurden die internationalen Jugendbegegnungen. Schon 1950 besuchten die ersten Schülerinnen aus Brighouse in England das Mädchengymnasium und fuhren Schüler aus Lüdenscheid nach Yorkshire oder zur Pflege von deutschen Soldatenfriedhöfen nach Nord-Italien. Die Städtepartnerschaft mit Den Helder in den Niederlanden, die Kinderfreizeiten auf der niederländischen Insel Ameland und später Fahrten nach Löwen und seit den 60er Jahren Schüleraustausche mit Frankreich gehörten zu der internationalen Öffnung der Jugendarbeit, die damit im Gegensatz zur völkisch-nationalen stand.
Wegen der wirtschaftlichen Erfolge gewannen viele Lüdenscheider nach dem Krieg rasch wieder Selbstvertrauen und Lokalstolz. Trotz der engen Wohnverhältnisse fühlten sich nur wenige eingeengt und die meisten geborgen. Allerdings waren die Chancen ungleich verteilt, z. B. zwischen frei spielenden Kindern und denen, die bis in die 80er Jahre mit ihren Eltern Heimarbeit leisteten.
Neu und wichtig waren kulturell die zahlreichen klassischen Konzerte mit großer Qualität und Akzeptanz.
Die Aufführung alter Meisterwerke des Bachchores, der Lüdenscheider Musikvereinigung und anderer Chöre bedeuteten den Lüdenscheidern viel; und sie setzten Zeit und Geld für ein gutes Gelingen ein.
Regen Anteil nahmen die Lüdenscheider auch an sportlichen Großveranstaltungen, z. B. den Deutschen Schwimmmeisterschaften 1951, dem internationalen Turnen von Japanern, Belgiern, Luxemburgern und Deutschen, den Landesturnmeisterschaften und an den jährlichen Schützenfesten, zu denen jeweils mehr als 10 000 Besucher kamen.

   
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Lüdenscheider Zeitbilder
Impressum/ Angaben gemäß § 5 TMG/ V.i.S.d.P.:
Lüdenscheider Zeitbilder, Lindenau 16, 58511 Lüdenscheid
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