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Lüdenscheider Zeitbilder
 

1871:   Eisenbahn, Metallwaren und Entwicklung zur Industriestadt

Foto: Ein Denkmal mit der Figur Wilhelms des I. auf einem Sockel. Dahinter ein Haus.
Aus Freude über die nationale Einigung errichteten die Lüdenscheider vor dem Haus Hulda 1889 das Denkmal des Kaisers Wilhelm I. Es wurde im Dritten Reich für Kriegszwecke eingeschmolzen. Seit 1978 steht dort die Figur von Onkel Willi mit Hund von Waldemar Wien.

 

Bürgermeister: Rudolf Wiesmann, August Selbach, Dr. Wilhelm Jockusch

Nach den so genannten Einigungskriegen gegen Dänemark, Österreich und Frankreich hatte Preußen seine Vormacht in Deutschland unter Ausschluss Österreich-Ungarns (kleindeutsche Lösung) erkämpft. Der preußische König Wilhelm wurde 1871 im Schloss von Versailles zum Kaiser des neuen deutschen Nationalstaates ausgerufen, der aus ca. 38 eigenständigen deutschen Fürstentümern und Städten hervorging, die nun viele Kompetenzen an die Reichsregierung in Berlin abgaben.

Foto: Eine engelsgleiche Figur auf einem Sockel mit Lorbeerkranz und Zepter in den Händen. Davor einige Kinder.
Foto: ZZur Erinnerung an den Sieg über Frankreich und die Gründung des Deutschen Staates unter der Führung Preußens wurde 1874 die Siegessäule der preußischen Viktoria (d.h. Borussia) im Loher Wäldchen errichtet. Zur Erinnerung an den Sieg über Frankreich und die Gründung des Deutschen Staates unter der Führung Preußens wurde 1874 die Siegessäule der preußischen Viktoria (d.h. Borussia) im Loher Wäldchen errichtet.

 

Vor und nach dem Krieg gegen Frankreich ordnete der König einen Bettag und eine Dankfeier für den Sieg in allen evangelischen Kirchen an. Der 2. September wurde als nationaler und evangelischer Feiertag ab 1872 gestaltet, an dem die Kirchen den Schulkindern etwas Leckeres schenkten. Als Erinnerung an den Sieg bei Sedan errichteten liberale und konservative Lüdenscheider im Loher Wäldchen 1874 die Siegessäule mit der Göttin Borussia (Preußen), die den Siegeskranz in der Hand hielt. Bis in den Ersten Weltkrieg fand hier zur Erinnerung an die siegreiche Schlacht die Sedanfeier mit den Lüdenscheider Schülern und Bürgern als nationaler Triumphtag statt. 1888 wurde vor Haus Hulda auf dem Sternplatz das Kaiser Wilhelm-Denkmal aus Spenden der Bürger errichtet, die Sympathie gegenüber dem verstorbenen Herrscher empfanden und stolz auf das Wilhelminische Deutschland waren.

Foto: Das Foto zeigt ein Haus, davor einige Fußgänger und einige parkende Autos.
1874 wurde das neue Rathaus (heutiges Altes Rathaus) an der Wilhelmstraße bezogen. Foto ca. 1950.

 

Im Jahr 1874 wurde auch das neue Rathaus an der Wilhelmstraße bezogen, weil das mehrfach abgebrannte und wieder aufgebaute älteste Rathaus im Osten der Erlöserkirche nicht mehr ausreichte. Unten zog die Bürgerschule ein, im ersten Stock die Stadtverwaltung und der Bürgermeister. 1890 verließ die Bürgerschule das Rathaus und bezog den großzügigen Staberger Neubau, den heutigen Haupttrakt des Zeppelingymnasiums, und der Bürgermeister bezog 1896 eine andere Wohnung, sodass das Rathaus ganz für die städtische Verwaltung genutzt wurde.

Foto: Ein Bahnhof. Davor Personen und ein Zug mit einer Dampflok.
Ab 1880 fuhr die Eisenbahn bis Lüdenscheid. Das Bahnhofsgebäde wurde um 1900 errichtet.

 

Ebenfalls 1874 stellten die beteiligten Kommunen und die Bergisch-
Märkische-Eisenbahn die Strecke von Hagen nach Brügge fertig. Hierfür hatte das Handelsministerium eine Kaution von 500 000 Reichstalern zur Verfügung gestellt, die wesentlich zur Bereitschaft der Kommunen für den Eisenbahnbau beitrug. Berlin war an dem Verkehrsanschluss der Eisen verarbeitenden und Schießpulver produzierenden Werke im Bereich des Volmetals interessiert. Für den Eisenbahnbau von Brügge nach Lüdenscheid im Jahr 1880 musste die Stadt zusätzlich 1,2 Mio. Mark aufbringen. Damit fanden Industrie und Bürger endlich Anschluss an das zukunftsweisende Eisenbahnnetz.

Foto: Ein Bahnhof. Davor Personen und ein Zug mit einer Dampflok.
Lok, Wagen und Eisenbahner der Kleinbahn an der Altenaer Straße, 1911.

 

Aber die vielen Unternehmen im Rahmedetal zwischen Lüdenscheid und Altena und entlang von Schlittenbach und Verse bis Werdohl waren ins Abseits geraten. Deshalb wurde ab 1886 die Schmalspurbahn zwischen Lüdenscheid, Altena und Werdohl gebaut, die für den Last- und Personentransport 70 Jahre lang wichtig war und liebevoll "Schnurre" genannt wurde. Sie musste dann dem Lastwagen-, Auto- und Busverkehr weichen.

Foto: Eine Dampflokomotive zieht einen Zug durch ein Tal. Eine Mutter mit ihrem Kind ist auf dem Foto.
Die Kleinbahn/ Schnurre in der Rahmede um 1950

 

Mit den Eisenbahnanschlüssen der Reichs- und der Kleinbahn kamen immer mehr Menschen nach Lüdenscheid, unter denen 1871 auch 518 Katholiken waren. Ihr Pfarrer stritt im Kulturkampf heftig gegen den preußischen Staat. Dennoch mussten die Kirchen ihr Recht auf die staatliche Beurkundung der Heirat und auf die Registrierung der Geburts- und Sterbedaten ab 1874 an den Staat abgeben. Die Katholiken fühlten sich im Vergleich zu den Protestanten weniger dem preußischen Staat als der römischen Kirche und demPapst in Fragen der Lebensführung verbunden. Durch die Streitigkeiten und kurzzeitige Verhaftung des kath. Pfarrers entstand ein starkes Gemeindebewusstsein und der Plan, die neugotische St. Joseph und Medardus-Kirche zu bauen, in der ab 1885 Gottesdienst gefeiert wurde. Die Spannungen zwischen dem preußischen Staat und der evangelischen Kirche einerseits und der katholischen Kirche mit dem Papst andererseits führte auch in Lüdenscheid zu Konflikten. Die Ehepartner mit unterschiedlichen Konfessionen hatten darunter zu leiden, weil besonders die Katholiken, aber dann auch die Protestanten jeweils einen Anspruch auf die Zugehörigkeit der Neugeborenen durchsetzen wollten. Manchmal wurden Christen zweimal, evangelisch und katholisch oder umgekehrt getauft, was der eigenen Religionslehre widersprach.

Foto: Eiune große Kirche erhebt sich hinter den Bäumen. Häuserdächer sind erkennbar.
Die Katholiken, die durch Zuwanderung zahlreicher wurden, errichteten nach dem Kulturkampf 1885 ihre Kirche St. Joseph und Medardus.

 

Konflikte zwischen der evangelischen Stadt- und Landgemeinde führten 1885 zum Ende der Union von 1822 und nach dem Vorbild der Politik zur Trennung der Stadtgemeinde von den Landgemeinden in Ober-Rahmede 1886, in Brügge 1896 und in Brüninghausen 1906, wo später eigene Kirchen errichtet wurden.
Schon seit 1741 hatte es eine Postanstalt in Lüdenscheid mit wechselnder Anschrift gegeben. 1866 bezog sie den Neubau neben dem Hotel zur Post (heute: Dresdner Bank) an der nach ihr benannten Poststraße. Da sich die ausgehenden Briefsendungen von 1872 bis 1892 auf 1,5 Mio. viereinhalbfach vermehrten, wurde 1891 - 93 der Neubau an der Altenaer Str. "im Stile der deutschen Renaissance" ausgeführt (heutige Musikschule). In ähnlichem Stil wurde das Gebäude der Jungenoberrealschule (heute: Zeppelin-Gymnasium), der Knapper und der Pestalozzi-Schule errichtet. 1886 arbeiteten 68 Prozent der Arbeiter in der Knopfund Metallwarenindustrie, 14 Prozent in der Zinnund Britanniaverarbeitung und 17 Prozent in anderen Branchen. Trotz Flauten in den frühen 70er Jahren und um 1890 stieg die Produktion insgesamt weiter an.
Den umfassenden Wandel zeigt die kleine Übersicht über die Arbeitnehmer der Stadt Lüdenscheid:

          Anzahl/ Prozent             1804            1907
Land- und Forstwirtschaft            44/ 11,3       164/ 1,3
Industrielles Gewerbe               199/ 51,2      9863/ 76,2
Handel und Verkehr                   26/ 6,7       1346/ 10,4
Sonstiges                           121/ 30,9      1563/ 12,1

Summe                               390/ 100      12936/ 100
Einwohnerzahl                         1495          31115

Zu den wichtigen Knopffabriken zählten Dicke & Kugel, Ritzel, Turck, Aßmann, Berg, Hueck und Linden. Sie stellten auch Scharniere, Beschläge, Griffe und Türklinken her. Viele Abzeichen produzierten die Graveure und Arbeiter der Firma Deumer. Die Firma Gebrüder Noelle fertigte aus Britanniametall (einer Legierung von Zinn, Antimon, Kupfer und Zink) oder aus Neusilber (einer Legierung von Kupfer, Nickel und Zink), viele Bestecke, Teller, Kaffeegeschirre, Leuchten und andere Haushaltswaren. Die starken Preisschwankungen der Rohstoffe um 1900 führten zu manchen Schwierigkeiten und zum Niedergang der Firma Gebrüder Noelle. Zulieferer für die Produzenten waren die Walzwerke Jul. Fischer & Basse an der Schafsbrücke (Kreuzung Altenaer-/Lennestr.) und die Walzwerke von Casp. Noell, die 1898 in "Westf. Kupfer- und Messingwerke AG vorm. Casp. Noell" (EckeWiesen-/Altenaerstr.) umbenannt wurden. In Lüdenscheid begann 1886 die Elektrifizierung mit der Beleuchtung der Fabrikationsräume in der Firma P. C. Turck, die nun viel länger arbeiten lassen konnte als die Konkurrenz. 1887 fing die Produktion von Elektroartikeln bei der Firma P. Jaeger & Fischer an, die ab 902 "Lüdenscheider Metallwerke AG" hieß und Stecker, Schalter, Kontakte, Sicherungen und Armaturen herstellte (heute: Busch-Jäger-Elektro). Die Härte des Arbeitslebens spiegelte sich in der Klage der Kreissynode von 1884: Nicht nur in der Stadt, "sondern auch in Landgemeinden gibt es Arbeitsherren, welche ihre Untergebenen zu Arbeitssklaven machen, die monatelang keinen Sonntag haben."
1877 kam auf 149 Einwohner eine Wirtschaft, in der viele Lüdenscheider die Last der Arbeit erträglicher machen und Geselligkeit suchen wollten.

Foto:

Die Fotomontage des Reichsbahnhofs zeigt den regen Güterverkehr,
die große Zahl der Bahnhofsbesucher und das Symbol
des Fortschritts: den Zeppelin. (um 1900)
Foto: Briefkopf der Fa. Berg:

Der Briefkopf weist auf einige Militärprodukte der
Firma Berg hin: Effekten, Zeltgestänge, Feldgeschirr,
Gestänge für Zeppeline u.a.
   
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1900:   Erfolgreiche Unternehmer, Arbeiter und Bürger

Bürgermeister: Dr. Wilhelm Jockusch

Foto:

Blick auf die Wiesenstraße und den Obertinsberg um 1930.

Der dritte wichtige Wirtschaftszweig der industriellen Zeit in Lüdenscheid war die Aluminiumverarbeitung. Deshalb wird die Stadt auch Geburtsort der Aluminiumindustrie Deutschlands genannt. Seit der Mitte des Jahrhunderts entzog man dem Bauxit mittels Elektrizität Sauerstoff und gewann dadurch Rohaluminium. Carl Berg begann die Aluminiumverarbeitung 1891 mit der Herstellung von Zeltgestängen für das deutsche Heer. Ihm und vielen anderen Nationen lieferte er auch Kochgeschirre, Feldflaschen und Trinkbecher aus Aluminium. Als die Konkurrenz wuchs und der Absatz geringer wurde, konzentrierte sich die Firma auf Töpfe, Kessel, Milchgefäße, Kaffeekannen, Motorteile, Strombügel und andere Produkte. Auch Halbfabrikate, z. B. Bleche, Drähte, Stangen und Profile, wurden hergestellt und exportiert. Den großen Erfolg der Firma Berg zeigen noch heute die großen Fabrikgebäude zwischen Bahnhof und Altenaer Str. Hier wurde 1900 auch das Innengestänge des ersten Zeppelins, das in Werdohl hergestellt wurde, zur Probe montiert und nach Friedrichshafen zur Endmontage transportiert, wo die Ballonhaut und die Gasfüllung hinzukamen. Die tragenden Elemente für mehrere hundert Zeppeline, die im Frieden und im Krieg eingesetzt wurden, fertigte die Firma Berg aus Aluminiumprofilen an. Carl Berg war Förderer und Freund des Grafen Zeppelin, der für ca. 30 Jahre den Traum vom Fliegen mit seinen Luftschiffen, den "Zeppelinen", weiterentwickelte.

Foto: Um 1910: Eine Gesellschaft an einem Tennisplatz. Ein Mann spielt Mandoline auf seinem Tennisschläger.

In der Kaiserzeit kam der Tennissport auch in Lüdenscheid in Mode.

 

Um 1910 zählte Lüdenscheid 73 Betriebe mit mehr als zehn Arbeitern, davon 68 in der Stadt. Die größten mit mehr als 150 Arbeitern waren: Gebr. Noelle: Britanniawaren, 550 Arbeiter; P. C. Turck Wwe.: Metallknöpfe, Schnallen, Walzwerk, 550 Arbeiter; Westf. Kupfer- und Messingwerke AG vorm. Casp. Noell: Kupfer-, Messing- und Aluminiumwalzwerk, Stangenund Drahtzieherei, 550 Arbeiter; Wilhelm Berg: Knöpfe, Aluminiumwaren, 530 Arbeiter; Lüdenscheider Metallwerke AG vorm. Jul. Fischer & Basse: Elektrobedarfsartikel, Schirm- und Stockbeschläge, Metallgusswaren, Walzwerk, 450 Arbeiter; Basse & Fischer GmbH: Britannia- und Aluminiumwaren, 250 Arbeiter; Berg & Nolte: Metallkurzwaren, Knöpfe, 250 Arbeiter; Gerhardi & Co.: Britannia-, Nickel-, Neusilber und Aluminiumwaren, 200 Arbeiter; Paulmann & Crone: Metallkurzwaren, Schmucksachen, 170 Arbeiter; Ed. Hueck: Draht, Walzwerk, Britannia- und Aluminiumwaren, 170 Arbeiter. Vergleicht man diese Übersicht mit der um 1800 und um 1899, so werden Kontinuitäten und Wandel deutlich. Viele Produkte wurden in fast alle Länder der Welt exportiert, besonders nach Frankreich, Großbritannien, Italien, USA, Japan und Südamerika.

Foto: Rechts und links sämen Häuser eine Strasse.
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Zu den wichtigsten Neubauten
der Kaiserzeit zählte die
Post (1893) an der Altenaer Straße
(heute Musikschule).

 

Der wirtschaftliche Erfolg spiegelte sich auch in der Ersetzung fast aller Häuser der Wilhelmstraße durch mehrstöckige Gebäude zwischen 1880 und 1914, von denen noch heute viele stehen und von der damaligen Baukunst Zeugnis geben. Um sie herum entstanden zunehmend mehr Mietshäuser, z. B. an der Schützenstraße, an der Bahnhofstraße, an der Werdohler Str. und der Knapper Str. Die neuen Villen vieler Unternehmer wurden meistens etwas außerhalb errichtet und besaßen zeitweise mehr Gartengelände, als Grünflächen in der eng gebauten Stadt zu finden waren.

Zahlreiche Fabrikbesitzer engagierten sich mit großen Spenden für die sozialen Aufgaben der Stadt. Leonhard Ritzel, Besitzer einer Firma, die ab 1897 von seinem Neffen Hermann Schwarzhaupt weitergeführt wurde, stellte 200 000 Mark besonders für Waisen zur Verfügung. Witwe Heinrich Noelle spendete 50 000 Mark für das Frauenaltersheim Hotopstraße. 60 000 Mark gab die Witwe W. Turck für die "Herberge zur Heimat" und für erkrankte Mitarbeiter der Firma. Heinrich Noelle jun. spendete einen großen Betrag für den Bau der Kerksig-Turnhalle 1890 und Wilhelm Brauckmann für den Bau des Schillerbads 1905. Der Sport, der die Gesundheit und Stärke der männlichen Bevölkerung fördern sollte, und der Dichter Friedrich Schiller gehörten zum damaligen Zeitgeist und zum deutschen Nationalempfinden. Deshalb erhielt das erste Schwimmbad 1905 den Namen Schillerbad.

Mit Gastspielen des Gießener Stadttheaters begann 1897 das "Theater in Lüdenscheid". Die Vorstellungen fanden meistens im Hotel zur Post (heute: Dresdner Bank) statt. Die Bühnenkunst erreichte 1911 einen Höhepunkt mit 37 Schauspielen, 2 Märchenspielen, 15 Operetten und einer Oper. Aber oft reichten die Einnahmen nicht zur Deckung der Kosten.

Mehr Zuspruch fand der 1889 gegründete "Instrumentalverein", der später "Kapelle" genannt wurde und ab 1901 einen Zuschuss von der Stadt erhielt, um mindestens 6 Konzerte auf dem Karlsplatz (heute: Rathausplatz) oder an anderen Stellen zu spielen.

Bekannteste darstellende Künstlerin Lüdenscheids war Ida Gerhardi (1862 - 1927), die nach Studien in München und Paris 1906 in Köln und ein Jahr später in Berlin ihre impressionistischen Bilder ausstellte. Wegen einer Erkrankung lebte sie ab 1912 bei ihrem Bruder in Lüdenscheid.

Foto: Eine Halle mit einem Eckturm und einem breiten Eingangsvorbau
Bis zum Bau der Westfalenhalle 1925 waren die Schützenhalle (1900) und der Kölner Gürzenich die größten Hallen Westdeutschlands.

 

Das politische Leben wurde auch damals durch be kannte Persönlichkeiten geprägt. Heinrich Noelle als Vorsitzender des nationalliberalen Wahlvereins und Kommerzienrat Turck als Führer der Konservativen starben 1890. Nun wurde der Rechtsanwalt Julius Lenzmann (1843 - 1906) zum wichtigsten Liberalen, der auch die Interessen der Sozialdemokraten in der Zeit ihres Verbots vertrat und seit 1881 Reichstagsmitglied war. Reichskanzler von Bismarck hatte 1878 - 1890 die Sozialdemokratie und ihre Vereine verboten. Sie kamen in Lüdenscheid unter dem Namen "Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" zusammen. Nach dem Ende des Verbots 1890 erhielten die Sozialdemokraten 1893 39 % der Stimmen und 1907 46 % in den Reichstagswahlen. Diese Gewinne der Sozialdemokraten prägten auch die Kommunalwahlen, die zutreffend die gesellschaftlichen und politischen Gegensätze spiegelten. So gründeten Sozialdemokraten aus Skepsis gegenüber dem bürgerlichen Lüdenscheider Konsumverein, der 18890 ein großes Gesellschaftshaus in der Corneliusstr. 44 (heute: Stadtbücherei) errichtet hatte, die Konsumgenossenschaft "Einigkeit". Viele Sozialdemokraten waren auch an der Gründung des Bürgerschützenvereins 1910 beteiligt, der sich von dem Nationalkonservativen und großbürgerlichen Lüdenscheider Schützenverein abwandte.

Foto: Ein breites Haus mit drei Giebelfassaden und Verzierungen daran. Davor eine Strasse.
Dank vieler Spenden wurde von der Stadt 1899 das Krankenhaus an der Philippstr. errichtet.

 

Konflikt und Konsens gehören zum gesellschaftlichen Leben. Den starken lokalen Gemeinschaftswillen stellten die Lüdenscheider in zwei großen Bauwerken unter Beweis. 1899 wurde das Städtische Krankenhaus in der Philippstraße eingeweiht und 1900 die Schützenhalle fertig gestellt. Sie war durch die Spenden vieler Bürger und Unternehmer entstanden und die größte Halle Westfalens bis zum Bau der Westfalenhalle 1925. Das Bauwerk auf dem Loh zeigte die enorme Wirtschaftskraft und die Aufbruchstimmung.
Schützenfeste, Konzerte, Sport-, Politik-, Gesellschaftsveranstaltungen und Krankenpflege in Kriegszeiten fanden in ihr statt. Die großen Bautätigkeiten in der Stadt und die Talsperrenbauten an der Fuelbecke und der Fürwigge, die damals Versetalsperre hieß, bewirkten, dass mehrere Tausend Ar beitsuchende aus Nord-Italien um 1900 nach Lüdenscheid kamen; allerdings zogen fast alle weiter. Die Talsperren dienten damals als Wasserenergiespender - "natürliche Kraftwerke" - für die gleichmäßige Versorgung des Wasserantriebs von Gebläsen und Hämmern in den Flusstälern. Hierfür schlossen sich die Unternehmer zusammen und erbauten die Talsperren.

Foto: Ein Turmartiges Denkmal, auf welchem sich eine Feuerschale befindet. Bäume ringsum.
Nach der Siegessäule und dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal wurde 1902 die Bismarcksäule an der Kaiserallee (heute: Vorplatz der Albert Schweitzer Schule) errichtet.

 

Aus Dankbarkeit gegenüber dem politischen Gründer und ersten Reichskanzler des zweiten deutschen Kaiserreichs wurde 1902 die Bismarcksäule an der Kaiserallee eingeweiht. Auch der 1898 in Lüdenscheid gegründete Ortsverein des Alldeutschen Verbands zeigte die nationalistische und antisemitische Strömung des Zeitgeistes in Lüdenscheid. Bürgermeister Dr. Jockusch und die Pfarrer der evangelischen und katholischen Kirche gehörten ihm an. Der Verein setzte sich stark für die Aufrüstung besonders der Flotte ein und verherrlichte das "Germanentum".

Die Aufrüstung der Vorkriegszeit spiegelte sich auch in der Ausstellung der Waffen auf dem Rathausplatz um 1904 vor dem alten Hotel zur Post. (heute: Dresdner Bank) Damals gab es 17 Militärvereine in der Stadt.

Foto: Ein Eckhaus an einer Strassenkreuzung, davor ein Brunnen.
1910 errichtete das Amt Lüdenscheid sein Verwaltungsgebäude, nachdem 1907 Lüdenscheid zur kreisfreien Stadt geworden war. Der Schmied auf dem Selve-Brunnen steht für den typischen Handwerker und den "eisernen" Kanzler Bismarck, der den deutschen Nationalstaat schuf.

 

Die Bedeutung von Lüdenscheid-Land zeigte sich im Bau des Amtshauses an der Ecke Sauerfelder/Freiherr-vom-Stein-Straße 1910 (heute: Museum). Der Unternehmer Selve spendete den Brunnen mit der Figur des Schmiedes als Symbol für die Metallverarbeitung und den "eisernen" Reichskanzler Bismarck, der die einzelnen deutschen Fürstentümer durch den gemeinsamen Krieg gegen Frankreich 1871 zum Nationalstaat "zusammenschmiedet" hatte.

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1914:   "Mit Gott für König und Vaterland"
            - Zwischen Rüstungsboom und Lazarett

Bürgermeister: Dr. Wilhelm Jockusch

Foto: Ein Zug umringt von jubelnden Menschen

Verabschiedung der Lüdenscheider Soldaten vom Kleinbahnhof am 3.8.1914 in den 1. Weltkrieg.

Nationalkonservatives und militärisches Denken prägte die Gesellschaft. Das spiegelte sich in den 17 militärischen Vereinen, die es vor dem 1. Weltkrieg in Lüdenscheid gab. Die Stadt zählte 1913 ca. 34.000 Einwohner.

Anlass des Krieges war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. In den 5 Wochen bis zum Kriegsbeginn am 1.8.1914 konzentrierten sich die Überlegungen und Entscheidungen aller europäischen Regierungen auf nationale Ziele. Machtinteressen bestimmten das Handeln mehr als das Interesse an einer friedlichen Lösung des Balkankonflikts. Die Mehrheit erlebte die Mobilmachung als "eine Befreiung von dem lähmenden Druck" der großen militärpolitischen Spannungen zwischen den Nationen Europas. In Deutschland übernahm das Militär die politischen Entscheidungen und befahl die Durchführung des Schlieffenplans. Nach ihm sollte zuerst Frankreich im Westen und dann Russland im Osten besiegt werden. Im Westen sollte das neutrale Belgien besetzt werden.
Nach dem Aufruf zur Mobilmachung mussten am 3.8.1914 ca. 4.000 Lüdenscheider Soldaten in vier Zügen vom Staatsbahnhof und drei vom Kleinbahnhof in den Krieg fahren. Im Verwaltungsbericht der Stadt Lüdenscheid heißt es: "Die Stadt traf Vorkehrungen zum Schutze gegen Flieger und Spione. Die Landstraßen waren 3 Wochen gesperrt, um feindliche Autos abzuhalten. Die Straßenbeleuchtung musste eingeschränkt und die Polizeistunde um 8 Uhr abends eingeführt werden." In den ersten Kriegstagen beherrschten Hysterie und Psychose das öffentliche Leben.
Während in Deutschland fast kein Haus zerstört wurde, verwandelten die Schlachten das neutrale Belgien und Nord-Frankreich in ein Trümmer- und Leichenfeld. In Leuven - der heutigen Partnerstadt Lüdenscheids - wurden vom 25. bis 28. August 1914 248 Zivilisten erschossen und jedes 6. Haus zerstört. Die Universitätsbibliothek mit vielen alten Handschriften wurde vom deutschen Heer mit Benzin überschüttet und in Brand gesetzt. Am 27. August vertrieb das deutsche Militär die verbliebenen 10.000 Einwohner aus der Stadt und transportierten 1.500 Zivilisten in Viehwaggons nach Munster in Niedersachsen. Darunter waren 150 Kinder.
Trotz aller Bemühungen konnte Paris nicht vom deutschen Heer erobert werden. Schon im September 1914 begann der vierjährige Stellungskrieg, in dem ca. 5 Millionen Menschen starben. Am 22. April 1915 begann bei Ypern das neue Kapitel der Massenvernichtungswaffen. Das deutsche Heer setzte Chlorgas ein, obwohl es seit 1907 durch die Haager Konvention verboten war. Die Alliierten verurteilten diese Kampfmethode als Barbarei und setzten ihrerseits tödliche Chemiewaffen ein, die einen quälenden Erstickungstod bewirkten.
An der Ostfront konnten die Generale Hindenburg und Ludendorff in der Schlacht bei Tannenberg 1914 den russischen Angriff abwehren. Sie ließen sich nach dem Krieg so feiern, als hätte Deutschland gewonnen. Beide halfen, die Dolchstoßlegende zu verbreiten, d. h. die Legende, dass linke Kräfte die Wehrmacht am Sieg gehindert hätten, obwohl sie selbst 1918 ihre Unfähigkeit eingestanden hatten, den Krieg erfolgreich zu beenden. Hindenburg wurde 1925 Reichspräsident und setzte Hitler 1933 als Reichskanzler ein.
An der Kampffront und an der Heimatfront verklärten die christlichen Kirchen den 1. Weltkrieg zum Gotteskrieg. Das Christentum förderte den Kampf und Kriegsgeist, um die Soldaten zu ermutigen.

Foto:Vorder- und Rückseite einer 10-Pfennig-Münze: Prägung der Vorderseite: 'Kriegsgeld 1918  A  10 Pfennig', Prägung der Rückseite: 'Stadt Lüdenscheid' mit L&uumlenscheider Stadtwappen und einer Hand, die eine Stielhandgranate wirft.
Lüdenscheider Münze aus dem 1. Weltkrieg. Die Münze und die Handgranate hinter dem Wappen waren Lüdenscheider Produkte.

 

In Lüdenscheid schuf der Lazarettinspektor Platz für 445 Kriegsversehrte: 100 Betten in der neuen Schützenhalle (Loh), 85 in der alten Schützenhalle (auf dem Schützenplatz Loh; abgerissen), 100 in der Heilstätte Hellersen, 36 in der Loge (Freiherr-vom-Stein-Str.), 25 im Waisenhaus (Worth) und 100 im Krankenhaus (Philippstr.). 1917 arbeiteten allein in den beiden Schützenhallen auf dem Loh 544 Pflegkräfte für insgesamt 3 871 Verwundete. In der großen Zahl der ständig neu kommenden und wegziehenden Patienten spiegelte sich die enorme Zerstörungskraft des 1. Weltkriegs mit 9 Mio. Toten und 21 Mio. Verletzten. Viele Lüdenscheiderinnen meldeten sich freiwillig für die Krankenpflege an versehrten Soldaten aus Frankreich, Belgien und Deutschland. 77 Soldaten waren so schwer verletzt, dass sie hier starben.
Alle Lüdenscheider wurden aufgefordert zu spenden. Für 9 Kriegsanleihen gaben sie 125 Mio. Mark Erspartes. Außerdem wurden für die Rüstung Haushaltswaren, Töpfe, Eisengitter und Kirchenglocken zusammengetragen. In der Not sammelten Schüler Bucheckern, Obstkerne, Kohlweißlinge u. a. Im September 1917 fingen die Schüler 47 990 Schmetterlinge, die wegen der Hungersnot als "gefährlichste Engländer" und "Kriegsschädlinge" eingestuft wurden. Der Steckrübenwinter 1916/17 ist der bekannteste Teil des großen Hungers, der in der Kriegszeit herrschte. An ihm starben ca. 750 000 deutsche Zivilisten, mehrere hundert auch in Lüdenscheid, wo die Sterblichkeit um 80 % anstieg. Während die Rüstungsarbeiter in Lüdenscheid für ihre schwere Tätigkeit Zulagen erhielten, wurden viele Kinder aus armen Familien von ihren Eltern getrennt und in die Provinz Posen geschickt, um zureichend ernährt zu werden. In mehreren Suppenküchen Lüdenscheids wurden Portionen verteilt, die vor dem Verhungern retten sollten.

Foto: Ein Gürtel mit einem Koppelschloß: Prägung: Eine Krone in der Mitte, Schriftzug oben im Halbkreis: 'Gott mit uns',  Unten im Halbkreis einb Lorbeerkranz.
Die preußischen Soldaten trugen Koppelschlösser, die auch in Lüdenscheid hergestellt wurden.

 

Zu Kriegsbeginn konnte sich die Buntmetallindustrie Lüdenscheids nach wenigen Monaten Übergangszeit von der Zivil- auf die Rüstungsproduktion umstellen. Große Mengen von Patronenhülsen, Schrapnellkugeln, Maschinengewehrteilen, Zündern, Handgranatenteilen u. a. wurden hergestellt. Fast alle Unternehmen konnten die Zahl ihrer Mitarbeiter vergrößern und teilweise verdoppeln. Da die Männer im Feld standen, wurden die Frauen gezwungen, die Kriegsproduktion an der Heimatfront zu sichern.

Die bekanntesten Rüstungsprodukte aus Lüdenscheid waren die Zeppeline. Sie warfen allein über England 5 800 Bomben ab, die 550 Zivilisten töteten und 1 350 verwundeten. 1.501 Lüdenscheider Soldaten (Stadt u. Land) starben im 1. Weltkrieg. Der Verwaltungsbericht der Stadt Lüdenscheid berichtet: In 1.029 Familien der Stadt und 369 Familien des Amtes Lüdenscheid fehlt der Vater oder der Sohn, weil sie gefallen sind. Da sie meistens auch für das Haupteinkommen gesorgt hatten, verarmten die Familien. Auch die Pflege der Versehrten erforderte viel Mühe und Geld.

   

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Lüdenscheider Zeitbilder
Impressum/ Angaben gemäß § 5 TMG/ V.i.S.d.P.:
Lüdenscheider Zeitbilder, Lindenau 16, 58511 Lüdenscheid
Vertreten durch: Matthias Wagner, Telefon 02351 25138, info (at) lüdenscheider-zeitbilder (.) de
Gestaltung: Martin Sander/ Hans-Werner Hoppe